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«Wir entscheiden gemeinsam»

Claudia Ammann ist als Fachexpertin Gerontopsychiatrie dafür verantwortlich, das Konzept des Spezialwohnheims in den Alltag zu integrieren. Insbesondere geht es dabei um ein ideales Zusammenspiel zwischen den Fachbereichen Pflege und Betreuung.

Ein Grüppchen von fünf Bewohnerinnen und Bewohnern steht in der Eingangshalle ausgehfertig bereit. Sie haben sich herausgeputzt, denn es ist Zeit fürs Kino. Claudia Ammann, Fachexpertin Gerontopsychiatrie bei der GHG Rosenberg, begleitet sie bei dieser Freizeitaktivität. «Das unterscheidet uns von einem reinen Pflegeheim. Wir bieten ein umfassendes Betreuungsangebot an», sagt die Sozialarbeiterin. Kinobesuche sind nur ein Teil davon. Ebenso ist etwa ein Kiosk geplant, der die umliegenden Räume als sozialen Treffpunkt im Alltag attraktiver machen soll.

Claudia Ammann betreut Menschen, die nicht in die gesellschaftliche Norm passen. Manche von ihnen haben früher auf der Strasse gelebt und einen Suchthintergrund, andere haben eine chronische Erkrankung oder sind traumatisiert. Bei vielen sind mehrere Diagnosen im Spiel. Im Spezial­wohnheim der GHG Rosenberg finden sie ein Zuhause, in dem sie innerhalb eines lockeren Rahmens ein selbständiges Leben führen können.

«Für viele ist die Anfangsphase schwierig. Sie sind es nicht gewohnt, sich anzupassen und sich in ihrer Autonomie einzuschränken. Sie wirken dann oft misstrauisch, ziehen sich zurück oder sind auffallend nervös und tigern im Haus herum.»

Eine von Claudia Ammanns Aufgaben ist es, gemeinsam mit den Bewohnenden und dem Team Regeln aufzustellen, zum Beispiel, wie viel Alkohol konsumiert werden darf. «Nach einiger Zeit sind die meisten erleichtert, ihre persönlichen Ziele definiert und ihre individuelle Tagesstruktur festgelegt zu haben.»

Sich Zeit nehmen
Als gelernte Pflegefachfrau und studierte Sozialarbeiterin kennt Claudia Ammann zwei unterschiedliche Herangehensweisen: «In der Pflege gilt es oft, die Ärmel hochzukrempeln und schnell zu handeln. In der Betreuung hingegen ist es wichtig, sich Zeit zu nehmen. Sich mit Klientinnen und Klienten hinzusetzen und sich ihre Sichtweise der Dinge anzuhören.» Beide Aspekte seien im Spezialwohnheim wichtig.

«Für mich gibt es keine besseren oder schlechteren Lebensläufe.»

Im Berufsalltag bringt Claudia Ammann nichts so schnell aus dem Konzept. Sie hat schon viele Menschen mit einer chronischen Erkrankung oder mit einem Suchthintergrund begleitet – bei der Pro Senectute, bei der Caritas und als Ressortleiterin beim Sozialamt.

Respekt zeigen
Den Bewohnenden begegnet Claudia Ammann auf Augenhöhe: «Ein gesellschaftlich gesehen ‹gescheitertes› Leben verdient genauso Respekt und ist nicht weniger zu würdigen als beispielsweise das Leben eines Uniprofessors. Für mich gibt es keine besseren oder schlechteren Lebensläufe.»

Mit ihrer positiven Ausstrahlung und ihrer lockeren Art ist Claudia Ammann bei den Bewohnenden immer gern gesehen. Auch wenn sie zwischendurch ein unangenehmes Thema anspricht. «Es braucht Mut, jemandem, der über die Stränge geschlagen hat, zu sagen, dass er nach Alkohol riecht.» Immer wieder gelte es in ihrem Job, die Rahmenbedingungen neu zu verhandeln. Wo lassen wir die Bewohnenden gewähren, wo setzen wir Grenzen? Und auch diesen Aspekt ihrer Arbeit führt Claudia Ammann – im Austausch mit dem Team – mit einer grossen Selbstverständlichkeit aus. «Viele verwechseln Mitleid mit Empathie. Bei mir gibt es kein Mitleid. Wir versuchen einfach gemeinsam, einen Weg zu finden.»