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«Wir brechen Kunstgrenzen auf»

Das Open Art Museum in St.Gallen, ehemals Museum im Lagerhaus, widmet sich dem Kunstschaffen, das aus diversen Gründen nicht den üblichen Kunstkategorien zuzuordnen ist. Museums­direktorin Monika Jagfeld gibt im Interview einen Einblick in ihre Arbeit und die aktuellen Ausstellungen.

Monika Jagfeld, Anfang Jahr hat sich das Museum im Lagerhaus in Open Art Museum umbenannt. Warum dieser neue Name?
Es hat uns schon lange gestört, dass der Name «Museum im Lagerhaus» gar nichts aussagt über unsere Ausstellungen und wofür wir stehen. Die Leute wussten nicht, um was es geht. Darum sind wir über die Bücher gegangen. Und wir haben ein komplett neues Kommunikations­konzept erstellt.

Warum «Open Art»?
Der Name ist einfach verständlich, auch für Laien. Begriffe wie «Outsider Art» oder «Art Brut» kennen viele Menschen nicht. Es sind Termini, die aus der Kunstrezeption heraus entstanden sind, die aus unserer Sicht aber nicht als Museumsname funktionieren. Wir stehen für ein offenes Kunstverständnis. Das gab den Ausschlag.

Museumsleiterin Monika Jagfeld plädiert für mehr Offenheit in der Kunstszene.

Warum ist die Kunst im Open Art ­Museum anders als das, was in den Kunsthallen ausgestellt wird?
Der Kunstbegriff ist per se nicht offen. Wenn wir von Kunst reden, sprechen wir nur von einer Kunst, in der Regel von ­einem west­europäisch geprägten Kunst­ver­ständnis und von hiesigen Epochen und Strömungen. Etwa von der Renaissance, vom ­Impressionismus oder vom Surrealismus. Wir sprechen von der zeitgenössischen Kunst anstatt von zeit­­ge­nössischen Künsten. Das ist einfach zu wenig. Wir brechen diese Kunstgrenzen auf.

Wie machen Sie das?
Wir ziehen keine kulturellen oder sozialen Grenzen. Wir respektieren Kunstschaf­fende ungeachtet ihrer Identität und Lebens­form und ungeachtet einer Beeinträchtigung. Wir machen niederschwellige Kunstangebote. Besucherinnen und Besucher können ohne Erwartungshaltung kommen. Auch sie sind offener und lassen es zu, in ganz fremde Welten einzutauchen.

Welche Highlights zeigen Sie aktuell?
«Die Bestie des Krieges» ist eine Aus­stellung über Naive Kunst aus der Ukraine. Darunter sind Werke von Maria Primachenko, die in der Ukraine als Nationalikone gilt. Es ist tragisch, dass allgemein erst jetzt, wo die Kulturgüter des Landes ­bedroht sind, unsere Wertschätzung ­gegenüber dieser Kunst entwickelt wird. Trotzdem ist es wichtig, diese Werke ­gerade jetzt zu zeigen. Die zweite aktuelle Ausstellung heisst «lumbung brut». Dabei machen wir Kunst sichtbar, die in offenen Ateliers entstanden ist. Kunst von Menschen, die nicht an einer Kunstakademie studiert haben. Darunter auch Menschen mit Unterstützungsbedarf.

«Es muss ­normal sein, dass wir uns voneinander unterscheiden.»

Was bedeutet Ihnen die Arbeit der GHG?
Es kann nie genug von dieser Arbeit geben. Vor allen Dingen muss sie sichtbar sein. Ich bin keine Freundin des Begriffs In­klu­sion. Der Begriff impliziert, dass Menschen, die nicht dazugehören, im Topf der so­­genannten Norm ­partizipieren dürfen. ­Diversität muss das Ziel sein. Menschen mit Beeinträchtigungen sollen mit einer Selbstverständlichkeit dazugehören und mit einer Selbstverständ­lichkeit leben. Es muss normal sein, dass wir uns von­einander unterscheiden.

Hat die Kunst aus Ihrer Sicht in den GHG Institutionen genügend Platz?
Ich sage nur: Mehr davon bitte! Ein Beispiel: Wir haben Führungen in Gebärden­sprache angeboten. Dabei haben wir gemerkt: die Leute kommen nicht zu diesen Führungen. Warum? Weil sie vorher nie in ­einem Museum waren und es gar nicht ­gelernt haben, sich auf diese Weise mit Kunst auseinander­zusetzen.

Wie könnte man dies ändern?
Man muss das Kunstschaffen und auch die Kunstbetrachtung bereits in den Schulen vermitteln. Wenn Schulen zu uns kommen, ist es oft aufgrund des Engagements einzelner Lehrerinnen und Lehrer. Dabei ist der Museumsbesuch für alle Schulen ­gratis. Wir haben einen Bildungsauftrag, den wir sehr gern umsetzen.

Art Brut
Art Brut ist ein Sammelbegriff für Kunst von Laien, von kulturell «unverbildeten» Menschen, häufig mit einer psychischen Erkrankung oder einer Beeinträchtigung, sowie von gesellschaftlichen Aussenseitern. Kunst, die abseits von Akademien und dem Kunstmarkt entstanden ist. Der Begriff wurde vom französischen Künstler Jean Dubuffet geprägt. Zur Art Brut zählen etwa die Werke von Hans Krüsi, Adolf Wölfli oder Aloïse Corbaz.

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Outsider Art

Den Begriff Outsider Art wählte der englische Kunsthistoriker Roger Cardinal als Übersetzung der Art Brut für den angloamerikanischen Sprachgebrauch. Der Begriff entwickelte sich jedoch schnell in eine eigene Richtung. Outsider Art widmet sich generell der Kunst, die ausserhalb des Kunstbetriebes entsteht.

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Naive Kunst

Wie auch Art Brut oder Outsider Art beschreibt Naive Kunst keinen Stil, sondern eine innere Haltung der autodidaktischen Künstlerinnen und Künstler zu ihrer Umwelt. Sie zeichnet sich meist durch eine betont vereinfachte Darstellung der realen Umwelt aus. Bedeutende Vertreter sind etwa in der Schweiz Adolf Dietrich oder in Frankreich Henri Rousseau.

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